Nenzisches Triptychon
Das folgende Lied ist aus einem gesungenen Märchen über einen Chanten (Das nenzische Wort für Chante wird übersetzt mit "Fremder" "Fremdstämmiger", für die anderen Völker gibt es andere Namen). Dieser Chante wohnt allein und ihm werden von den Enden der Aufhängestangen, an denen er Fisch zum Trocknen aufgehängt hat, von einem Unbekannten Fische gestohlen. Nachdem das mehrfach passiert ist, baut er eine Falle aus einem selbst schießenden Bogen, der zwar nicht den Dieb erledigt, aber die Möglichkeit gibt, ihn anhand der Blutspur zu verfolgen. Er kommt an ein Loch in der Erde, durch das er hinabblickt und das ihm den Anblick einer Behausung gewährt, wie man sie sieht, wenn man durch die obere Öffnung in ein Tschum (Zelt) hinabblickt. Hier sieht er eine Ylpi-Familie um das Feuer sitzen. Die Mutter schaukelt die Wiege, in der ein alter Mann liegt und auf der anderen Seite spielen zwei Kinder, die offensichtlich die Großeltern sind. Dass hier die Alterverhältnisse umgekehrt sind, (das Kind in der Wiege hat einen Bart und die Großeltern spielen als kleine Kinder) deutet an, dass der Chante in die Unterwelt hinabblickt, in der alle menschlichen Verhältnisse umgekehrt sind. Das heißt, er erblickt eine verstorbene Ylpifamilie und sieht auch, dass der der Übeltäter vom Pfeil getroffen aus dem Hintern blutet. Die Mutter singt ihm ein Wiegenlied, darüber, dass den Ylpis von Gott verordnet wurde Maden zu essen und nicht die menschliche Kost, und dass sie die Sachen und Nahrungsmittel der Menschen nicht anrühren sollen (die an den Enden der Aufhängestangen hängen). Ylpis sind in der nenzischen Vorstellungswelt Bewohner der Erde, die den Menschen ähnlich sind, auch in Zelten wohnen, Hunde und Rentiere haben, sich ähnlich kleiden wie Menschen. Sie sind aber körperlich kräftiger gebaut und stärker, haben dafür aber einen langsamen Verstand, kapieren nicht sofort und erscheinen deshalb etwas dümmer. Sie sind für die Menschen schrecken erregend, fürchten sich selbst aber fürchterlich vor dem Geräusch weinender Kinder. Wenn die Bäume im Wind das an Kinderweinen erinnernde ächzende quietschende Geräusch machen, haben die Ylpis fürchterlich Angst. Ylpi ist eine häufige Gestalt in den nenzischen Märchen, in den chantischen Märchen gibt es eine Gestalt mit ganz ähnlichen Eigenschaften die Menkw genannt wird. Das Märchen hat die Moral, dass auch die Menschen (die Nenzen) die Grenzen zu den Fremden, zu den Chanten, zu den Ylpis einhalten sollen, dass sie die Überlieferungen, die Werte der Vorfahren, der vergangenen Generationen achten und einhalten sollen.
1. Aus einem alten Lied (irgendwann gehört von Auli)
Was mag das hier wohl
bedeuten:
In dem Bauch der
Ehernen Wiege
Mit nacktem Wanst
Dahingestreckt
Ylpi liegt.
Siebenzüngig ist
Das Scheusal.
Vor dem Bettrand
Auf dem Boden
Schleift sein Bart
Grau. Wie
Wirbelt dieser
Fege-Besen
Staub auf!
Von dem Pfeile
Eine Wunde
Klafft an seiner
Hinterbacke
Und heraus
Fließt viel Blut.
Singt ein
Wiegenlied
Die Mutter:
Lju-lju-lju-lju!
Immer habe ich gesagt
Von der Fremden
Kost zu nehmen
Ist für uns Tabu
Lju-lju-lju-lju
Vorherbestimmt
Ist es vom Himmel
Vorherbestimmt
Uns von der Erde
Werden nichts
Als Maden essen,
Ein Labsal werden
Maden sein.
Lju-lju-lju-lju
Immer habe ich gesagt
Was die Vorfahren
Uns lehrten,
werden wir stets tun.
Lju-lju-lju-lju
Gebahnt sind uns
Verschlungne Pfade,
Auch die Wege jeder Jagd
Für die Großväter, die weisen,
Für die Großmütter, die weisen,
Die als ungestüme Kinder
Dort auf dieser Bettstatt spielen.
Mögen diese alten Pfade
Nie verwehen, nie verwuchern.
Lju-lju-lju-lju
In diesen Dingen
Höre du,
Muss man immer
Folgsam sein ...